Der Vorhang geht auf – Gerhart Richter in Potsdam
Vorhang auf für die Abstraktion – Wortwitz
Das erste abstrakte Werk Gerhard Richters heißt denn auch tatsächlich “Vorhang”. Es entstand 1964 und zeigt einen grau und leblos über einem ausdruckslosen Stück Boden hängenden Vorhang, von dem auch nur ein Ausschnitt zu sehen ist. Wirklich abstrakt ist das noch nicht. Kunstfertig wie es gemalt ist, könnte das Werk auch eines von Richters Fortbilden sein. Immerhin schuf der Künstler einige großformatige Motive von Wellblechen und Türen, alle ungefähr zu der gleichen Zeit entstanden. In Potsdam sieht man den “Vorhang III” von 1965, bei dem der Boden schon verschwunden ist und der Vorhang selbst keine schönen Falten mehr wirft, sondern aus einem einfachen Streifenbild besteht. Fast zumindest, denn ein bisschen ist der Vorhang dann doch noch zu erkennen Und das ist das eigentlich Interessante bei Gerhard Richter: Seine Motive sind nicht im klassischen Sinn abstrakt, sondern nur bis zu einem gewissen Grad abstrahierte Alltagsmotive. Er reduziert seine Motive auf eine minimale Form.
Der Weg in die Abstraktion
In Potsdam liegt der Fokus dann auch auf der Genese der Abstraktion und der Rolle derselben im Schaffen Gerhart Richters. Was ist da eigentlich so abstrakt? Und wieso faszinieren diese Werke Richters? Und vor allem – woran erinnert man sich später? Es scheint, als könne man die Bilder bis zu einem gewissen Grad vergessen, auch wenn man sie später weitersieht. Richter selbst bekannte sich dazu, er sagte auf einer Pressekonferenz, dass er nicht mehr bei allen seinen Bildern so genau wusste, wo sie geblieben waren. Sah er sie irgendwann wieder, dachte er: “Sieht ja gut aus!”.
Herrlich unaufgeregt – Kunst abstrakt
1966 nahm Gerhard Richter die Farbkarten des Fachhandels als Basis und setzte nach dem Zufallsprinzip seine “192 Farben” in Form kleiner Quadrate auf die sehr viel größere Leinwand. Sechs Jahre später, 1973, waren es schon “1024 Farben”. Abstraktion wirkt bei ihm jetzt so ein bisschen wie Pop-Art. Trotzdem kommt Gerhard Richter ohne große Gesten aus, setzt die Farben ohne Pathos auf die Leinwand und hält sich irgendwie aus allem so ein bisschen heraus. Abstraktion, das ist für Richter Gleichmut. Die Welt und ihre Geschäfte – alles nicht so wichtig.
Gerhard Richters abstrakte Werke kommen ohne große Aufregung aus. So könnten die “Grauschlieren” aus dem Jahr 1968 auch zu einem gefrästen Glasfenster gehören. Das Werk entstand, in dem er Fotoabzüge übermalte und Fotos nachmalte, die er übermalte. Das machte er zuletzt bei seinem Zyklus “Birkenau”, der auf vier Aufnahmen aus dem KZ basiert. In Potsdam ist dieser Zyklus nicht gezeigt.
Aber Richter hat auch in anderer Hinsicht seinen eigenen Kopf. Er ist selbst fasziniert von allem was wie er selbst sagt, “keinen Stil hat”. Im Original lautet das Zitat: “Ich mag alles, was keinen Stil hat. Wörterbücher, Fotos, die Natur, mich und meine Bilder.” WAs macht man daraus, wenn der eben jener Künstler dann ab 1970 Studien im Hyperrealismus anfertigt? Gerhart Richter malt die winzigen, zufälligen Farbverläufe seiner Palette ab und vergrößert sie um ein Vielfaches, so dass aus dem kleinen Bildausschnitt ein 2 mal 3 Meter großes Gemalte “Ausschnitt (rot-blau)” wird. Gemalt in fotorealistischer Manier, ist die Grundlage dieses Werks kaum noch zu erkennen. Und er kann auch zuckersüß, beispielsweise in “Abstraktes Bild (421)” von 1977, das in Pink und Rosé schwelgt.
Rakel als Technik?
Starke, extrem farbige Bildräume, die mit dem Zufallsprinzip spielen, snd ab Ende der 1970er Jahre ein Thema bei Richter. Er entdeckt die Rakel, eine Art Spachtel mit einem mehr oder weniger weichen Kunststoffblatt, als Werkzeug. Richter setzt jetzt großzügig Farben auf die Leinwand und fetzt mit dem Rakel hindurch, so dass luxuriöse, dicke Farbverläufe entstehen. Das ist Schönheit pur, denn durch den großzügigen Auftrag, der weder an Material, noch an Leuchtkraft spart, wird der Betrachter richtiggehend verwöhnt. Und das macht sich auch für Richter bemerkbar, denn die Preise für seine Werke explodieren. Gerhart Richter erzielt ab jetzt Rekordpreise.
Bis heute hat sich Gerhard Richter zu einem Star entwickelt, gleich einem Picasso, mit dem er von Kunstjournalisten gerne verglichen wird. Ein eigenes Museum, wie es ihm oft gewünscht wird, behagt ihm dennoch nicht. Er lehnt die Einmannshow ab, die ihm so gehöhnt wird: “Ich möchte, dass meine Bilder mit andren zusammen zu sehen sind.” Ein Intellektueller? Ist er nach eigener Aussage nicht. Aber natürlich ist er das. Für alle anderen, wenn auch nicht für sich selbst. Wie entsteht die Kunst eines Künstlers, der so selbstverständlich alles Künstlerische und Intellektuelle verneint, der sein Heil im Alltäglichen und Banalen sucht? Ist es nicht eine Kunst, die erst in der Auseinandersetzung mit ihr zu einer solchen wird? Die daraus lebt, mit Vorgängern, Parallelen und künftigen Künsten verglichen zu werden? Gerhard Richter propagiert die Niveualosigkeit seiner Kunst, aber genau das gibt seinen Werken, seinem Schaffen das Niveau, das diese Werke so wertvoll macht. Gerhart Richter geht da selbst mit viel Ironie heraus, er reflektiert die Voraussetzungen seiner Kunst in den Werken selbst. Fast schon romantisch ist seine Auseinandersetzung mit den Freuden und Bürden der Malerei.
Die Ausstellung von Gerhard Richter
im Museum Barberini in Potsdam, am Alten Markt, Humboldstraße 5-6, läuft noch bis zum 21. Oktober 2018. Geöffnet ist sie mittwochs bis montags von 10:00 bis 19:00 Uhr, Eintritt 14 Euro. Der Katalog dazu erschien im Pressten Verlag und ist für 29,95 Euro erhältlich.