Was versteht man unter Kunstgeschichte
Kunstgeschichte nennt man auch Kunsthistorik. Der Begriff bezeichnet die Wissenschaft von der Geschichte der bildenden Kunst. Diese Disziplin untersucht die Funktion der Kunst in der Gesellschaft und den Entstehensprozess der Werke durch die Künstler.
Gegenstand und Ziel
Die Geschichte der Kunst ist vor allem durch den Wandel der gesellschaftlichen Funktion künstlerischer Gestaltung und die Entwicklung der Formen und Stilrichtungen geprägt. Ziel der Kunstgeschichte ist, die Inhalte der Werke zu beleuchten (Ikonografie) und ihre Gestaltung und Wirkung in Raum und Zeit zu bestimmen. Einerseits geht es dabei um stilistische Zusammenhänge, andererseits um das Verständnis des historischen Kontextes, in den das Kunstwerk eingebettet ist und der als Voraussetzung zur Entstehung des Werkes aufzufassen ist.
Anders als bei der Kunstkritik geht es bei der Kunstgeschichte um den Versuch, sich methodisch und wissenschaftlich abgesichert mit der Kunst zu befassen.
Klassische Untersuchungsobjekte sind vorderasiatische und europäische Werke der Baukunst, Bildhauerei, Malerei und Grafik ab dem frühen Mittelalter. In die Betrachtungen fließen oft solche aus der Architekturgeschichte ein.
Die Kunst der nichteuropäischen Länder wird in den jeweiligen Fächern (zum Beispiel Arabistik, Sinologie, Afrikanistik) miterforscht oder findet in übergreifenden Fächern wie der Ethnologie statt. Ferner werden auch neue Kunstformen wie Fotografie, mediale Kunst, Kunstgewerbe und Design untersucht.
Kunstbetrachtung in den Epochen
Den Begriff der Kunstgeschichte prägte Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), der erstmals stilgeschichtliche Forschungen unternommen hat. Im spätem 18. Jahrhundert bereitete Fiorillo den Weg für die Kunsthistorik als akademisches Fach an der Universität in Göttingen. Wichtig für die spätere Kunsttheorie wurde die Romantik, namentlich Johann Gottfried Herder und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Weitere wichtige Namen, die das Fach prägten: Karl Friedrich von Rumohr, Gustav Friedrich Waagen, Jacob Burckhardt, Carl Justi, Herman Grimm, Gottfried Semper, Giovanni Morelli, Karl Schnaase, Gustav Hotho und Heinrich Wölfflin.
Antike
Auch in der Antike gab es Texte über Kunst, die jedoch wenig Aufsehen erregten. Das änderte sich erst in der Renaissance.
Renaissance
Bedeutende Künstler wie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer befeuerten die Betrachtungen. Die Skizze “Der vitruvianische Mensch” gehört zu den bekanntesten Werken und machte Vitruvs berühmt. Der Architekt und Hofmaler der Medici Giorgio Vasari betätigte sich als Biograf zeitgenössischer Künstler und gehört zu den ersten systematischen Kunsthistorikern. Er prägte die Begriffe “Gotik” und “Renaissance“.
Neuzeit (ab 1700)
Im Jahre 1755 brachte Johann Joachim Winckelmann seine Schrift “Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst” heraus. Er beschreibt darin den Ablauf der Kunstgeschichte und die griechische Kunst. Zudem entwickelt er Kriterien einer Philosophie des Schönen und beschreibt einen klassischen Stil als Maßstab der Beurteilung (“edle Einfalt und stille Größe”).
Winckelmann stellte gedankliche Verbindungen zwischen künstlerischer Vergangenheit und der damaligen Gegenwart her. Der Archäologe Winckelmann gilt als “erster Kunsthistoriker”, da er materielle Kenntnis hatte, präzise Beschreibungen vornahm und Systematisierung der Forschungsgegenstände betrieb.
Die Entwicklung der Kunstgeschichte als eine Wissenschaft
Die erste Professur für das Fach Kunstgeschichte entstand in Göttingen im Jahr 1799 und wurde durch den Kunstlehrer Johann Dominik Fiorillo besetzt. Die Entwicklung als wissenschaftliche Disziplin machte durch Diskurs über Fallbeispiele große Fortschritte. Dabei spielten die Laokoongruppe und der Dresdner Holbeinstreit eine tragende Rolle. Der Historiker Jacob Burckhardt begann damit, die Kulturlandschaft in Epochen zu betrachten. Grundlegender Bedeutung kam dabei der Stilgeschichte zu, der stilistischen Analyse der Kunstwerke. Bis zunächst 1933 leisteten deutsche Gelehrte einen prägenden Beitrag zu dieser Wissenschaft. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es mehrere Schulen der Kunstgeschichte: die Berliner Schule, die Wiener Schule oder Dokumentenkunde, die Münchner Schule (Formalismus), die Hamburger Schule (Ikonografie).
Das Fach Kunstgeschichte im Nationalsozialismus
Nach dem “Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” mussten bedeutende jüdische Kunsthistoriker emigrieren. Zu ihnen gehörte Erwin Panofsky, der an die Universität Princeton ging, ferner Walter Friedlaender (New York), Julius Held und Ernst Gombrich (London) sowie Ernst Kris, Ernst Cohn-Wiener und Nikolaus Pevsner.
An ihre Stellen traten Kunsthistoriker, die den Zielen der Nationalsozialisten nahestanden. Durch diese Vertreibung der bedeutenden Wissenschaftler aus Deutschland blühte die kunsthistorische Forschung im Ausland auf, vor allem in Großbritannien und den USA.
Kunstgeschichte in anderen Ländern
Die wichtigsten Namen des Faches waren: Giovanni Morelli, Luca Beltrami und Benedetto Croce für Italien; Denis Diderot, Quatremère de Quincy, Emile Mâle, André Chastel und Élie Faure für Frankreich.
Kunstgeschichte heute
Heute wird die Kunstgeschichte nicht mehr so sehr von Schulen, sondern von Forschungsschwerpunkten und Personen geprägt.
Zentrale Positionen
In früheren Zeiten gehörte die Zuordnung der Kunstwerke zu ihren Urhebern und Entstehungszeiten zu den wichtigsten Forschungsaufgaben. Heute geht es eher um die Untersuchung der Funktionen und Strukturen, um soziologische Bedeutung der Kunstwerke und um Kunst im Allgemeinen. Damit sind auch die Entwicklungen anderer Disziplinen der Geisteswissenschaft eingebunden. Auch die Bauforschung wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Wichtige Namen der Gegenwart in den einzelnen Unterdisziplinen
Rezeptionsästhetik: Wolfgang Kemp; Materialikonografie: Günter Bandmann und Monika Wagner; Hans Belting, Werner Busch, Michael Baxandall, Svetlana Alpers (Kunst im Kontext); Ellen Spickernagel, Sigrid Schade, Linda Nochlin und Lucy R. Lippard (feministische Kunstgeschichte); Martin Warnke, Klaus Herding, John Berger, T.J. Clark, Jutta Held und Peter Burke (Kunstsoziologie); Horst Bredekamp, Gottfried Boehm, Hans Belting, Oliver Grau (Kunstgeschichte als Bildwissenschaft).